VZ WAZ/VZWAZ-Nr01/VZWAZ-1997_Jan+Feb_0035.pdf

Medien

Teil von WAZ 04.01.1997

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KULTUR

1

NUMMER 3

Herr Doktor
Ort: Irgendwo im deut­
schen TV-Krankenhaus.
Zeit: Zu jeder Zeit, zu jeder
Stunde.
Schwester Wie schmeckt
heute unser Kaffee? Mit wem
haben Sie die letzte Nacht
verbracht, Herr Doktor?
Doktor M it...
Pfleger Herr Doktor, kom­
men Sie schnell! Ein Notfall!
Der Hubschrauber ist schon
gelandet.
Doktor Mein Assistent soll
die Intubation vorbereiten.
Und rufen Sie meine Frau an.
Es wird wieder später.
(Er eilt in die Notaufnahme.)
Patient (leidend): A h ...

Der italienische Schriftsteller Umberto Eco wird morgen 65 Jahre alt
des Mittelalters gelegt, so ent­
wirft er in seinem 1994 erschie­
nenen Roman „Die Insel des
vorigen Tages" ein detailprun­
kendes Panorama der Barock­
zeit Erzählt wird, in der Nach­
folge von Homers Odyssee und
Daniel Defoes Robinson, die
Seefahrt eines italienischen
Abenteurers namens Roberto,
der im Auftrag eines Kirchenfürsten in der Südsee den 180.
Längengrad ausfindig machen
soll - die Datumsgrenze, deren
Überquerung den Ablauf der
Zeit um einen Tag überlistet.
Naturwissenschaft im Dienst
klerikaler
und
weltlicher
Machtinteressen, das ist ein
Leitmotiv des Romans, der pa­
radoxerweise die Krisis der eu­
ropäischen Zivilisation im Ze­
nit des Zeitalters der Vernunft
ausleuchtet. Denn als der naive
Held Roberto im Duell seinen
imaginären
Zwillingsbruder
Ferrante erschießt, schlüpft er
in dessen Identität. Aber ist Ro­
berto wirklich Ferrante? Eco
deutet die Identitätskrise des
modernen Menschen um, in­
dem er dem Satz des Descartes
„Ich denke, also bin ich” eine
andere Prämisse gibt: Ich zweif­
le, also bin ich.
Damit hat nicht nur das
christliche Abendland, sondern
auch die Neuzeit den göttlichen
Urgrund menschlicher Exi­
stenz verloren. Die Seele Ro­
bertos sucht in einem Ozean
des Zweifels ein Eiland meta­
physischer Gewißheit, das Eco

„Der Name der Rose” (1980),
ein Klosterkrimi aus dem 14.
Jahrhundert ist typisch für
Ecos epische K unst hohe Ge­
lehrsamkeit in einen reißenden
Erzählstrom zu betten. Im
Sinnbild der Rose verteidigt
Eco die zweckfreie Schönheit
und das Vermächtnis kulturel­
ler Werte. Die weitverzweigte
Handlung dreht sich um ein
kostbares Buch, um dessen Be­
sitz willen selbst Mönche zu
Folter und Mord bereit sind.
Hatte Eco hier gleichsam ei­
nen Ariadnefaden durch das
vermeintlich dunkle Labyrinth

Umberto Eco

Archiv-Bilder

Schicksal, Rache
und Hoffnung
Hörspiel und Oper im WDR
Auch im neuen Jahr bietet
der WDR auf fast allen Kanä­
len eine reiche Palette in- und
ausländischer
Hörspiele.
Qualität ist dabei, wie die Na­
men der Autoren und Inter­
preten versprechen, vorpro­
grammiert.
Es beginnt am Sonntag um
16 Uhr im Dritten mit Lisbet
Hüdes Tragikkomödie „Die
unglückliche Witwe in Michi­
gan”. Die norwegische Auto­
rin porträtiert darin eine junge
Farmerin, die in Zeiten sozia­
ler Not an einen Heirats­
schwindlergerät. Der Unterti­
tel des von Ulrike Brinkmann
mit leichter Hand und vorzüg­
lichen Sprechern inszenier­
ten Spiels wirft ein Schlaglicht
auf die kuriose Handlung:
Schicksal, Hoffnung, Rache.
Davon handelt auch, wo­
von sonst, Vincenzo Bellinis
idyllischer Belcanto-Zweiakter „La Sonnambula", den
WDR 3 Sonntagabend in ei­
ner Aufnahme der Kölner
Oper von 1994 ausstrahlt.

Über­
gebung

”T

schwerfHäg

Die tschechische Koloratur­
virtuosin Edita Gruberova
gibt der Nachtwandlerin den
perlenden Glanz einer fast
übernatürlichen Kehlfertig­
keit - eine Ohrenweide für BeIcanto-Fans.
Tags zuvor wartet Kart
Dietrich Gräwe in der ver­
dienstvollen Reihe „Oper
kurzgefaßt” im Sinne des
Wortes mit einer Ausgrabung
auf. In einer Produktion des

Hörfunk-Tips
Moskauer Rundfunks ist Ale­
xei N. Verstovskys hierzulan­
de unbekannte Oper „Das
Grab" zu hören. Man darf ge­
spannt sein, denn selbst die
großen Musikführer ver­
schweigen das Werk.
Und wer*s unterhaltsam
will, dem sei Wendelin Haverkamps Literarisches Kaba­
rett „Eins im Sinn” (WDR 5,
Sonntag 15 Uhr) empfoh­
len.
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Antoge

Hamburg feiert Johannes Brahms
„Lieben Sie Brahms?” Unter diesem Motto feiert H am ­
burg seinen berühmten Sohn, Johannes Brahms, in dessen
100. Todesjahr. 175 Veranstaltungen sind geplant H öhe­
punkte garantieren Orchester wie die Wiener Philharmoni­
ker und Solisten wie Anne-Sophie Mutter.
(ap)
Scan Connery und F. Murray Abraham (rechts) in der Verfilmung von Ecos „Der Name der Rose” .

Umberto Eco wurde im nord­
italienischen Alessandria gebo­
ren. Er studierte Philosophie in
Turin und arbeitete nach seiner
Promotion (über Ästhetik bei
Thomas von Aquin) zunächst
als Journalist. Heute lehrt er
„Visuelle Kommunikation” in
Bologna, eine Disziplin, die mit
dem Fachwort Semiotik (Theo­
rie der sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichensysteme)
eher nebulös umschrieben ist
Denn stärker noch als der
französische Strukturalismus,

wie Roland Barthes ihn begrün­
det h a t enträtselt der Semiotiker die Trivialmythen des All­
tags. So sucht Eco, der streitba­
re, aber undogmatische Linke,
selbst den Erfolg des weltweit
beliebten TV-Kommissars Der­
rick zu entschlüsseln. „Der­
rick”, so sein Befund, „wird ge­
lieb t weil er der Triumph des
Mittelmaßes ist. Darum wird er
zum repräsentativen Helden
unserer mittelmäßigen Zeit.”
Dem ist nichts hinzuzufü­
gen.
HansJansen

Picasso nahm sich alies
Anthony Hopkins über seine Rolle als Malergenie
Anthony Hopkins ist einer
der besten Kinodarstelier
unserer Zeit. Nun spielt e r in
dem R im „M ein Mann Pi­
casso” die Hauptrolle. Uwe
Mies sprach m it Hopkins.
WAZ: Wie haben Sie sich
auf Picasso vorbereitet?
Hopkins: Zunächst habe ich

die äußerliche Ähnlichkeit ent­
wickelt. Ich bekam farbige Kon­
taktlinsen, das typische Ringel­
hemd. Vorteilhaft ist, daß ich
ungefähr die gleiche Statur h a­
be wie Picasso. Es gibtnurwenige Filme über ihn. Die habe ich
angeschaut, um seine Bewe­
gung und Sprache zu studieren.
WAZ: Und erst dann haben Sie
das Innenleben erforscht?
Hopkins: Genau. Aber, die äu­

ßerliche Veränderung wirkt
sich bereits auf das seelische Be­
finden aus. So fängt man an, ein
Porträt zu entwickeln. Es ist al­
les Technik.

Revolutionär. Solche Leute ha­
ben es nun mal nicht leicht we­
der mit sich noch m it anderen.
WAZ: Talent gebiert Monster?
Hopkins: So krass ist es auch

n ich t Aber solche Leute kön­
nen nicht viel Liebe geben, weil
sie von anderen Mächten erfüllt
sind, von Kirnst und Kreativität.
Da hat man keine Zeit für Trep­
penhaustratsch.
WAZ: Der Rim zeigt, wie rück­
sichtslos Picasso mit seinen
Frauen umgegangen is t Wie
stehen Sie dazu?
Hopkins: Ich denke, die Frauen

kannten die Regeln, wenn sie
sich mit ihm einließen. Er nahm
sich, was er brauchte und spei­
ste damit sein Ego, auch sexuell.
Was ich an Picasso bewundere,
ist, daß er sich nie entschuldigt
hat. Er sagte einfach: nimm
oder laß es.

WAZ: Das könnten Sie auch.
Seit dem „Schweigen der
Lämmer” sind Sie ein Star. Ärgert es Sie, immer auf den Film
angesprochen zu werden?
Hopkins: Nein, ich habe vor

dem Hannibal Lector viele Rol­
len gespielt und hinterher mit
„Howard’s End” und „Was vom
Tage übrigblieb” ebenfalls Er­
folge gefeiert.
WAZ: Sie waren bereits Mitte
50, als Sie im „Schweigen der
Lämmer” spielten.
Hopkins: Brad Pitt oder Tom

Cruise sind gute Schauspieler,
aber sie sind vor allem mit sehr
gutem Aussehen gesegnet. Den
Vorteil hatte ich nie. Aber weil
ich mittelmäßig aussehe, konn­
te ich eine komplett neue Kar­
riere aufbauen. Und das in ei­
nem Alter, in dem sich die Din­
ge normalerweise beruhigen.

WAZ: Gibt es kein Geheimnis
um die Schauspielerei?
WAZ: W enn es eins gibt, dann

kenne ich es n ich t Meine
Grundvoraussetzung ist ein
Gefühl tiefster Entspannung,
damit dann die Logik, Erleuch­
tung oder was auch immer, frei
durch den Körper fließen kann.
WAZ: Hat die Arbeit an derRolle Ihre Einstellung zum Men­
schen Picasso verändert?
Hopkins: Ich stand vor allem

unter dem Einfluß des Dreh­
buchs und der beiden Biogra­
fien, die ihm zugrunde liegen.
Die zeigen ihn einerseits als
hartherzig und egoistisch, an ­
dererseits als liebenswürdig
und verspielt Picasso war ein

Anthony Hopkins in dem Rim „Mein Mann Picasso”.

WB-Bild

Asterix schlägt die Bardot
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■ R I O Z
■ S U S I
■ C B L N
C H A O S

Doktor Wie geht es Ihnen?
Können Sie uns Ihre Kran­
kenkasse nennen?
Patient: A h ...
Assistent: Das Herz flimmert
nur noch. Wir müssen mit
dem Schlimmsten rechnen.
Doktor Wir geben Stromstö­
ße. Däs hilft immer.
Patient: Danke!
Doktor Das hätten wir mal
wieder geschafft. Nun fehlt
nur noch die Operation am
offenen Herzen.
Pfleger Das macht keiner so
gut wie Sie.
Doktor Für dieses Kompli­
ment gibt*s später ein Bier.
Alle singen: Der schönste
Platz ist immer noch im Kran­
kenhaus.
Ste.

KUR Z & A K T U E L L

an der Schwelle zwischen
Traum und Wirklichkeit als das
ewige Utopia ausmalt
Man hat die Romane des Ita­
lieners der literarischen Postmoderne zugeordnet - jenem
der Architektur entnommenen
Begriff, der in den beiden letz­
ten Jahrzehnten soviel Verwir­
rung gestiftet h a t Für die Litera­
turbezeichnet er eine Methode,
die sich aus dem Erbe vergang­
ner Kulturkreise bedient - und
in dieser Methode ist Eco wahr­
haft ein Meister.

Kleiner Gallier auf Frankreichs Buchmarkt der Größte
SpitzenreiteraufFrankreichs
Buchmarkt war 1996 der neue
Asterix-Band, in dem der dicke
Obelix vom Zaubertrank
nascht und
zum
Kind
schrumpft. Mit rund 2 950 000
verkauften Exemplaren des
Gallier-Abenteuers „La Galere
d ’Obelix” (Obelix auf Kreuz­

fahrt) schlug das Comic-Album
mit weitem Abstand die Spit­
zenreiter in den Bereichen Bel­
letristik und Sachbuch, teilte
jetzt das Fachblatt „Livres Hebdo" m it
Außerhalb des Comic-Seg­
ments wurden die Erinnerun­
gen der Schauspielerin und

1

NUMMER 3

S A M S T A G , 04. JANUAR 1997

W J iZ

A U F EIN W ORT

Insel im Ozean des Zweifels
Von Beruf ist Umberto
Eco, der am Sonntag 65
wird, Philosoph. Berühmt
aber wurde er als Roman­
cier. Gleich sein erstes
Buch „Der Nam e de r Ro­
se” war ein W elterfolg.

B ER ICH T UND HINTERGR UND

S A M S TA G , 4. JANUAR 1997

Tierschützerin Brigitte Bardot
„Initiales B.B." mit 500 000
Exemplaren am häufigsten ver­
kauft. Auf dem zweiten Platz in
diesem Bereich stand das Buch
der Präsidentenwitwe Danielle
M itterrand „En toutes libertés”
(Gezeiten des Lebens) mit
490 00 0 Exemplaren.
(dpa)

Femme fatale wäre
100 Jahre alt
Ihr Name ist unvergessen:
Pola Negri wäre jetzt 100
Jahre a lt MaxReinhardtholte die in Polen geborene
Schauspielerin nach Berlin.
Em st Lubitsch verhaft Ap­
polonia Chalupek - so ihr
bürgerlicher Name - 1919
mit ihrer Rolle in „Madame
Dubany” zum Durchbrach.
In den 20er Jahren wurde sie
zur Femme fatale des Films,
1937 brillierte sie als „Mada­
me Bovaiy”.
(waz)

Pola Negri

Altphilologe
Uvo Hölscher tot

Fred Wander
wird morgen 80

Der Münchener Altphilo­
loge Uvo Hölscher ist im Al­
ter von 82 Jahren gestorben.
Hölscher - einer der bedeu­
tendsten Vertreter seines Fa­
ches - wurde mit Arbeiten zu
den frühen griechischen Phi­
losophen und zu Hölderlin
und Nietzsche bekannt Er
habilitierte sich bereits 1944,
mußte aber zunächst unter
dem Druck der Nationalso­
zialisten auf eine Dozentur
verzichten.
(dpa)

Der Schriftsteller Fred
Wander, der seit 1977 auch
die Bücher seiner verstorbe­
nen Frau Maxie W ander her­
ausgibt wird morgen 80 Jah­
re alt. Der Autor, der unter
dem Namen Fritz Rosen­
blatt in Czemowitz geboren
wurde, verfaßte Jugend- und
Reisebücher, Theaterstücke
und Erzählungen. Zu seinen
bekanntesten Werken zäh­
len „Ein Zimmer in Paris”
und „Hotel Baalbek”, (waz)

dpa-Bild

Mit leichter Hand
T. Mackeben zum 100. Geburtstag
Viele seiner Filmmelodien
wurden Evergreens. Theo
Mackeben, am 5. Januar
vor 100 Jahren geboren,
w ar ein Meister der leich­
ten Muse.

Mackeben, der in Stargard
„(Pommern) zur Welt kam, lern­
te das Musikerhandwerk auf
grundsolide Weise. Nach seiner
Ausbildung in Koblenz, Köln,
und Warschau war e r in Berlin
als bemerkenswert versierter
Pianist und als Kapellmeister,
zuletzt am renommierten Me­
tropoltheater, tätig. Im Theater
am Schiffbauerdamm dirigierte
er 1928 immerhin die Urauffüh­
rung der „Dreigroschenoper”
Bert Brechts und Kurt Weills.
Er schrieb Schauspielmusi­
ken und bearbeitete Millöckers
„Gräfin D ubany”, die 1931 un­
ter dem Titel „Die Dübany” mit
großem Erfolg herauskam. Ein
Operettenkenner wie Volker
Klotz freilich nennt diese Re­
vue- und UFA-Schlagerfassung
„verchromt”; die dramatische
Architektur und das Klangbild
der Originalfassung seien „ver­
simpelnd verfälscht”.
Seine Rimmusiken zeigen,
wie geschickt Theo Mackeben
Elemente d er älteren Wiener
und der jüngeren deutschen
Operette mit der Experimen­
tierfreude der 20er Jahre zu­
sammenführte.
Zu den 52 ab 1931 von ihm
vertonten film en gehören
„Tanz auf dem Vulkan” (darin:
„Die Nacht ist nicht allein zum
Schlafen da”), „Heimat” (darin:

„Eine Frau wird erst schön
durch die Liebe”) und „Es war
eine rauschende Ballnacht” mit
dem Evergreen „Nur nicht aus
Liebe weinen”. Immer wieder
war Zarah Leander die Inter­
pretin, die in trüben politischen
Tagen Mackebens Melodien
Unsterblichkeit sicherte.
Daß sich dieser Komponist,
der am 10. Januar 1953 in Berlin
starb, auch zu Höherem beru­
fen fühlte, zeigt sein Nachlaß:
das Oratorium „Hiob”, zwei
Opern, ein Klavier- und ein Cel­
lokonzert sind darunter.

WOCHE
IST
UM
Zeichnungen
K laus
P ielert

Manchmal läßt Blüm auch
schon Resignation erkennen

Allerlei von
Lust und Leid
Nicht jedes Eßpaket kommt an

Viele Angriffe gegen den Sozialstaat - Dienstältester Minister
Jede Um frage bringt das
gleiche Bild: Norbert Blüm
ist der beliebteste Minister
im Team von Bundes­
kanzler Kohl. Selbst der
„C h e f’ reicht nicht an die
Popularität des Mannes,
der seit 14 Jahren im Ka­
binett sitzt.

Die kleinen Augen blitzen
noch listig wie damals, als Blüm
(„Ich bin der dienstälteste Sozi­
alminister der deutschen Ge­
schichte”) die Ernennungsur­
kunde in den Händen hielt
Gut, der Bauch ist etwas kugeli­
ger geworden, die Haare etwas
weniger, die Falten etwas mehr.
Alles normal für einen, der
die Gesundheitskosten mal ge­
bändigt, die Rentenformel er­
stritten und die Pflegeversicherang durchgeboxt hat. Unge­
brochen Blüms Kampfeslust für
den Sozialstaat Da geht dem
quirligen Minister, der einst als
IG-Metall-Mitglied Streikpo­
sten stand, noch heute die Pfeife
aus, wenn er mit dem ganzen
Körper redend sein Lieblings­
thema hin- und herwendet
Aber da gibt es auch diese
Sätze der letzten Monate:
„Manchmal habe ich die
Schnauze voll” und: „Mir fällt
nichts m ehr ein.” Das klingt
nach Resignation. Massenblät­
ter legen in regelmäßigen Ab­
ständen dem Arbeitsminister
einen Rücktritt nahe.
Scharf w eht der W ind der
Kritik: Arbeitnehmer demon­
strieren gegen Einschränkun­
gen bei der Lohnfortzahlung
und beim Kündigungsschutz,
Arbeitslose stöhnen u nter dem
Rotstift, ABM-Kräfte kritisie­
ren massive Einschnitte, Rent­
nerfürchten um ihre Einkünfte,
Arbeitgeber fordern einen radi­
kalen Abbau des Sozialstaats und in den Unionsreihen ver­
liert der tapfere „Nobby” immer
mehr an Unterstützung.
Sonntag für Sonntag liefern
die eigenen Sozialpolitiker im­
mer phantasievollere Kür­
zungspläne für den Sozialbe­
reich ab. Die Dauer-Kritik der

FDP an dem „sozialpolitischen
Dinosaurier” verstummt n icht
Droht ein wenig glanzvoller
Abgang in einer glänzenden
Karriere? Die Furcht der
Freunde ist groß, daß mit Blüm
der letzte erfahrene Steuer­
mann in schwerer sozialpoliüscher See die Kommandobrükke verläßt.
Der „Beruf” als Minister
ist dem heute 61jährigen Blüm
nicht in die Wiege gelegt wor­
den. Schon mit 14 Jahren
beginnt der Sohn eines Busfah­
rers bei Opel in Rüsselsheim

die Sozialausschüsse (Haupt­
geschäftsführer, später Vorsit­
zender) geht es schon 1969 in
den
CDU-Bundesvorstand
(1981 bereits CDU-Vize), dann
nach Berlin als Senator (1981
bis 1982), ab 1983 in den Bun­
destag und schon vorher in die
Regierungsmannschaft
von
Bundeskanzler Kohl (1982).
Blendende Erfolgsstationen
mit beharrlicher Bodenhaf­
tung: Der Großvater Blüm liebt
seine Familie über alles, lebt
gern mitten in Bonn in einem
schönen Altstadthäuschen oh-

Politisch schwer im Magen
liegt Blüm, was ihm täglich an
Vorschlägen aufgetischt wird.
Der Sozialstaat als Steinbrach:
Karenztage für Arbeitslose,
Vermittlungsgebühren für JobSuchende, kürzere Arbeitslo­
senhilfe, weniger Geld für kin­
derlose
Rentner,
volle
Besteuerung der Renten, die
Grandrente für alle, Kündigung
der Flächentarifverträge und,
und u n d . . . Die Liste läßt sich
beliebig fortsetzen.
Und der Kanzler veriangt von
seinem Arbeitsminister die
Ein Bericht von
WAZ-Redakteur
G u n a rs Reichenbachs«

Norbert Blüm

eine Werkzeugmacherlehre.
Mit 22 Jahren dann auf das
Abendgymnasium - nebenher
Geldverdienen als Bauarbeiter,
Lastwagenfahrer,
Kunst­
schmied, Servierer und Fließ­
bandarbeiter. Fast ebenso hart
das Studium (1961 bis 1967) in
Köln und Bonn: Philosophie,
Geschichte, Theologie und
Germanistik mit Abschluß Dr.
phil. Heirat mit 28 Jahren. Drei
Kinder mit Ehefrau Marita.
Ein Bilderbuch die politische
Karriere des heutigen CDUVorsitzenden in NRW: Über

ne Luxus, entspannt ganz ohne
Berührangsängste in der Sauna
eines öffentlichen Schwimm­
bads, genießt das Lesen (Blüm:
„Am liebsten in der Horizonta­
len”) in seinem übervollen Ar­
beitszimmer, schreibt Kinder­
bücher, spielt Kabarett und
macht mit bei Rockmusik, w an­
dert so weit die bequemen
Schuhe tragen - und hat nur
einen natürlichen Feind: die
Waage. Wie anderen auch, fällt
Blüm (Lieblingsessen: Erbsen­
suppe) das „Nein” so schwer bei
kulinarischen Genüssen.

Quadratur des Kreises: 1. Eiser­
nes Sparen ohne Schaden fin­
den Sozialstaat 2. Ein wetterfe­
stes Rentensystem. Eine Her­
kules-Arbeit
Die immer weiter steigende
Arbeitslosigkeit spült die Sozial-Kassen leer. Mit dem Rotstift
versuchte Blüm bislang, die Lö­
cher zu stopfen- dabei bis an die
Schmerzgrenze zur Sozialhilfe
gehend. Wohl wissend: „Soviel
kann der Arbeitsminister gar
nicht am Sozialstaat sparen,
wie die Arbeitslosigkeit W un­
den schlägt”
Der Erfolg ist mäßig. Statt wie versprochen - die Sozialab­
gaben unter die 40-ProzentMarke zu drücken, muß Blüm .
einen Anstieg auf 42 Prozent in
diesem Jahr hinnehmen. Der
Druck wird deshalb immer grö­
ßer. finanzminister Waigel
(CSU) sitzt seinem Kabinetts­
kollegen im Nacken, fordert
härtere Einschnitte. W irt­
schaftsexperten befürchten für
1997 einen Anstieg der Arbeits­
losenzahl auf deutlich über vier
Millionen.
Harte Zeiten selbst für härte­
ste Kämpfer. Blüm weiß das:
„In der jetzigen Situation zu sa­
gen: Macht euren Dreck allein,
würde ich für Feigheit halten.
Für Fahnenflucht” D a blicken
Blüms Augen gar nicht lustig.

Sie ist keine
„Nelke im
Knopfloch”
Eine „Nelke im Knopfloch”
wollte die „First Lady" nie sein.
Jetzt kann die Frau des Bundes­
präsidenten Roman Herzog,
Christiane Herzog, auch dem
Femseh-Publikum zeigen, daß
sie mehr kann, als nur die „Frau
an seiner Seite” zu sein. Am mor­
gigen Sonntag startet sie eine
Koch-Talkshow im Ersten deut­
schen Fernsehen.
Ohne öffentliches Aufhebens
hat sich die 60jährige Mutter
zweier Söhne bisher den Opfern
einer bisher wenig bekannten
Erkrankung gewidmet: den Mukoviszidose-Patienten.
Dies
sind meist Kinder, die an der
bisher unheilbaren Erkrankung
der Bauspeicheldrüse schwer
leiden.
Christiane Herzog ist Gründe­
rin des Vereins MukoviszidoseHilfe, der Geld sammelt für the-

Theo Mackeben

Auch Mackebens Operetten
„Lady Fanny” und „Anita und
der Teufel” liegen längst in der
Raritätenschatulle. Lieder wie
„Komm’ auf die Schaukel, Lui­
se” oder „Du hast Glück bei den
Frau’n, Belami” sind hingegen
noch heute Ohrwürmer.
Michael Stenger

darauf hin, daß sich in Zukunft
nicht die Nationalstaaten, son­
dern die großen Religionen und
Zivilisationen bekämpfen. Die
Fundamentalisierung von Tei­
len der islamischen Welt ist Be­
weis. Das müssen wir im Auge
behalten, ohne daß ein Feind­
bild Islam entsteht Aber wir
müssen sehen, daß Nahost-Län­
der dabei sind, Massenvemichtungswaffen zu entw ickeln. ..
W A Z:. . . di« Deutschland be­
drohen könnten?
Pflüger: DieNATO hat eine Ar­

beitsgruppe zu diesem Thema
gebildet Auch wir werden
überlegen müssen, welche Ver­
teidigungsmaßnahmen man ge­

WAZ: Bundeswehr-Einsätze
außerhalb des NATO-Gebiets
werden wahrscheinlicher?
Pflügen Wir dürfen unsere

Weizsäcker-Sprecher
eine
zweite Amtsperiode von Bun­
despräsident Herzog?
Pflüger: Die Entscheidung des

Bundespräsidenten, nicht noch
einmal anzutreten, ist selbstver­
ständlich zu respektieren. Aber
ich hoffe, daß er sich das in den

W A ZB B H M i

INTERVIEW

rapeutische Einrichtungen und
für Projekte zur Erforschung der
Krankheit.
Als „umsichtige Haushälte­
rin”, wie sie selbst sagt, hat sie
bisher ihrem Mann den Rücken
freigehalten, derzuerst als Jurist
und dann als Politiker eine steile
Karriere bis zum Bundespräsi­
denten durchlief.
Nach dem Abitur hat die Pfar­
rerstochter Pädagogik studiert
und als Hauswirtschaftslehrerin
an einer Sonderschule gearbei­
tet. Vor der Geburt ihres ersten
Sohnes 1959 gab sie den Beruf
auf.
(waz)

WAZ: Und wer könnte nach
Kohl kommen? Sie haben mal
die Namen Schäuble und Rü­
he genannt
Pflüger. Damit habe ich keine

nächsten zweieinhalb Jahren
noch einmal anders überlegt
Herzog trägt viel zur Stärkung
der Mitte und des europäischen
Gedankens bei. Er ist ein ganz
ausgezeichneter Nachfolger
von Richard von Weizsäcker.

Geheimnisse verraten. Mit
Schäuble und Rühe besitzen
wir zwei herausragendfe Führangspersönlichkeiten, die gro­
ße Zustimmung in der Union
finden. Aber darüber wird die
Union erst lange nach 1998 zu
diskutieren haben.

WAZ: Stichwort Innenpolitik:
Wünscht sich der ehemalige

WAZ: Soll auch das Zugpferd
Kohl nach 1998waitarziehan?

Das Gespräch faßte Gunars
Reichenbachs zusammen.

Jochen Borchert

Friedbert Pflüger studierte Po­
litik, Soziologie und Wirtschaft.
Der 41jährige war Redenschrei­
ber von Bundespräsident von
Weizsäcker. Seit 1990 ist er
CDU-Bundestagsabgeordneter. Pflüger ist verheiratet mit
Margarita Mathiopouios, der
Frau, die Willy Brandt als SPDSprecherin durchsetzen wollte.

Klaus von Dohnanyi

Peru: Kein Ende des
Geiseldramas in Sicht
Bruder Fujimoris erst spät entdeckt
LIM A (dpa) Der Bruder
von Perus Staatspräsident
Alberto Fujim ori, Pedro
Fujim ori, is t erst nach 9
Tagen von den linken Gei­
selnehm ern in der Residenz des japanischen Bot­
schafters in Lima erkannt
worden.

Pflüger: Ein klares Ja. Zwar war
ich das eine oder andere Mal
anderer Meinung als der Kanz­
ler. Aber ich glaube, daß unter
dem Strich die Reformen der
Zukunft mit Kohl an der Spitze
am besten bewerkstelligt wer­
den können.

Hände nicht in den Schoß le­
gen, wenn sich Bedrohung für
unsere Sicherheit zeigt. Ande­
rerseits: Wir müssen auch an
die Grenzen unserer Möglich­
keiten denken. W ir können uns
nicht an allen Friedensmissio­
nen in der Welt beteiligen.

Waidmanns Leid statt
Waidmanns Lust muß Land­
wirtschaftsminister Borchert
nach seinen Jagdausflügen
nach Spanien spüren. Der er­
folgreiche Abschuß eines
iberischen Bocks wird vor­
aussichtlich ein fiskalisches
Nachspiel haben. Dennfüreinen Blattschuß müssen Jä­
ger eine Prämie an die zu-



Produkte aus ostdeut­
schen Landen haben es im­
mer noch schwer, in west­
deutsche Ladenregale zu ge­
langen. Als Promoter fungiert
Klaus von Dohnanyi, einst
Bürgermeister in Hamburg
und Außen-Staatsminister in
Bonn. Doch sein neuer Job
scheint dem Marketing-Ma­
nager nicht zu schmecken,
jedenfalls wenn es um Nah­
rung aus Sachsen-Anhalt
geht. Die dortige Landwirt­
schaftsministerin
Heidrun
Heidecke hält ihm vor, kein
Herz für die Spezialitäten ih­
res Landes zu haben.
Um den Hanseaten eines
Besseren
zu
belehren,
schickte sie ihm zum Jahres­
wechsel ein Paket mit Halberstädier Würstchen, Salzwedeler Baumkuchen und Sekt
mit der roten Kappe. Dohna­
nyi: „Ehrlich gesagt, es hat
mein bisheriges Urteil nur
verschärft.” HartmutGeyer

Christiane Herzog

„Konflikte des nächsten Jahrtausends werden Deutschland gefährlich”
gen solche Bedrohungen gege­
benenfalls entwickeln muß.
W ir neigen zu dem Glauben,
das Ende des Kalten Krieges be­
deute den ewigen Frieden. Ich
bin sicher, daß die Konflikte
und Kriege im nächsten Jahr­
tausend von großer Gefährlich­
keit für uns sein werden.

■Mn Bonn Hi

ständigen Forstämter abführen. Nun prüfen die Finanz­
behörden, ob dem Minister
und seinem Staatssekretär
Feiter aus der Einladung ein
„geldwerter Vorteil” entstan­
den ist. Die vom spanischen
Staat großzügig erlassene
Abschußprämie müßten die
beiden Jäger dann nachträg­
lich versteuern.

Zur Person

Pflüger sieht Kampf der Religionen
WAZ: Warum warnen Sie vor
Gefahren durch fundamenta­
listische Staaten?
Pflüger: Alle Zeichen deuten

Sie hat die letzte MännerBastion beim Bundesgrenz­
schutz mit Bravour erobert.
Njanuszka Skudelny (25) aus
dem Coburger Raum ist die
erste Hubschrauber-Pilotin
beim BGS. 20 Monate dauer­
te die Ausbildung.
Seit 1993 haben sich Frau­
en um Aufnahme bei den
BGS-Fliegem bemüht. Doch
keine konnte bisher die ho­
hen Ausbildungshürden neh­
men. Inzwischen - nach 5000
Flugstunden - überwacht
Frau Skudelny die Grenzen
zu Polen und Tschechien.

„Alle Geiseln wußten, wer er
ist, niemand hat etwas gesagt”,
sagte der Chef der peruani­
schen Exportvereinigung, Juan
Enrique Pendavis, der elf Tage
in der Botschaft festgehalten
worden war. „Wir haben ihn ge­
genüber den Freischärlern als
einen japanischen Botschafts­
gast ausgegeben”, erklärte der
Industrielle.
Nachdem den Tupac-Amaru-Rebellen aufgefallen sei,
wen sie in ihrer Gewalt hätten,
sei Pedro Fujimori in den Raum
gebracht worden, wo sich die
prominenteren Geiseln wie der
japanische Botschafter Morihisha Aoki und Perus Außen­

minister Francisco Tudela auf­
halten.
Unterdessen rechnen Beob­
achter damit, daß die Geiselhaft
in der japanischen Botschaft
noch lange anhalten wird. Zwei
W ochen nach Beginn der Bot­
schafts-Besetzung durch die
Rebellen sind die Fronten wei­
ter verhärtet Perus Präsident
Fujimori sprach von den Gei­
selnehmern als „Terroristen”,

Präsident spricht
von „Terroristen”
deren sinnlose Gewalt der wirt­
schaftlichen Reputation seines
Landes jedoch nichts werde anhaben können. Gleichzeitig ga­
ben die Rebellen an, sie würden
weiter aushalten, solange es
eben dauere.
Die rund 20 Tupac-AmaruRebellen in der Botschaft wol­
len mit der Geiselaktion
Gleichgesinnte aus peruani­
schen Gefängnissen befreien.

A

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